hermes81 schrieb:
MinistryOfDeath schrieb:
Ich lese hier ja die letzten Wochen immer fleißig mit und habe auch schon den ein oder anderen Beitrag verfasst. Als Fan kommt ja gar nicht umhin, sich mit der ganzen Sache auseinanderzusetzen. Ich wurde auch schon im Freundeskreis und sogar auf der Arbeit auf das Thema angesprochen. Am Ende wird dann immer von einem erwartet, dass man sich positioniert, weshalb ich mir die vergangenen Tage ein paar Gedanken gemacht habe, die ich gerne mit euch teilen würde.
Also erstmal möchte ich betonen, dass ich die Erfahrungsberichte der (größtenteils) jungen Frauen für absolut plausibel halte. Gerade für den, der sich mit Lindemanns Solo-Projekten etwas genauer beschäftigt, sollten die Vorwürfe nicht überraschend kommen. Und es ist unerträglich, wie hart diese Menschen dafür angegangen werden. Das zeigt mir, wie weit unsere Gesellschaft eigentlich noch von einem fairen Umgang miteinander entfernt ist.
Ich persönlich finde die geschilderten Praktiken zumindest fragwürdig und befremdlich. Das hat nach meinem Verständnis wenig mit Intimität zu tun. Aber solange es im beidseitigen Einvernehmen passiert, tut meine Meinung nicht zur Sache. Wenn es jemand geil findet, seinem großen Idol den Schwanz zu lutschen, dann bin ich sicherlich der letzte, der das anprangert. Etwas komplett anderes ist es, wenn Menschen (auf welche Art und Weise auch immer) unter Druck gesetzt werden, um solch eine Einvernehmlichkeit zu erzwingen.
Und deshalb finde ich diese Diskussion unfassbar wichtig. Denn scheinbar zeigt sie ja bereits Wirkung. Die Row 0 wurde in München abgeschafft und es würde mich nicht wundern, wenn das auch in Zukunft so bleibt. Es werden Awareness-Konzepte geschaffen und die Band scheint die Vorwürfe ernst zu nehmen (wenn man mal die rechtliche Fassade außen vor lässt). Das alles sind die Verdienste der Menschen, die den Mut hatten, sich in dieser Sache zu äußern. Gerade auch wegen der vielen Anfeindungen habe ich großen Respekt vor diesem Schritt.
Nichtsdestotrotz, halte ich die Rufe nach Tourabbruch, Auflösung und Vergeltung für falsch. Wenn Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden, so muss man den Verursachern doch auch die Gelegenheit geben, etwas zu ändern. Nur die Band zu canceln (jetzt habe ich das böse Wort doch benutzt), bringt niemanden etwas, auch nicht den Betroffenen. Denn scheinbar gibt es dieses System erst seit ein paar Jahren. Die Zeit davor ging es ja auch ohne wilde Sexorgien.
Ich fände es extrem schade, wenn Rammstein von der Bildfläche verschwinden würde. Sowohl musikalisch als auch textlich haben sie die Musikwelt enorm bereichert. Auch wenn ihre Texte teilweise etwas kryptisch sind, so gab es gerade auf dem letzten Album doch einiges an Gesellschaftskritik. Ich frage mich in solchen Situationen immer, kann man Kunst und Künstler voneinander trennen? Was ich bei Rammstein definitiv bejahen würde, fällt mir z.B. bei der Band Lindemann schwer. Ich glaube viele vergessen, dass es hinter Rammstein ja noch 5 weitere Bandmitglieder gibt.
Was mich an der Diskussion ein wenig ärgert und was, glaube ich, auch ein Grund für den Beißreflex vieler Fans ist, dass man als Fan immer ein Stück mitverantwortlich gemacht wird, obwohl wir kaum Einfluss haben. Natürlich unterstütze ich Till Lindemann finanziell, wenn ich mir ein Konzertticket für Rammstein kaufe. Aber das tue ich ja, weil ich die Musik und die Texte feier und nicht, weil ich sexuellen Missbrauch gutheiße. Wenn sich jetzt niemand mehr Tickets kaufen würde, dann würde es in Zukunft auch keine Musik von Rammstein mehr geben. Nur seine sexuelle Befriedigung würde sich Lindemann garantiert woanders holen. Dahingehend hätte man nichts erreicht.
Ich bin überzeugt, einen echten Sinneswandel kann man nur durch Diskurs, nicht aber durch Canceln erreichen. Und deshalb hoffe ich, dass die Band die nötigen Konsequenzen zieht, sodass man in Zukunft auf Augenhöhe mit seinen Fans interagiert. Denn solch ein System der Einschüchterung ist nicht tolerierbar. Dann freue ich mich auch wieder darauf, ihre Shows besuchen zu dürfen.
Zitat anzeigen
Ich halte viele Stellen dieses Textes für fragwürdig um es mal ganz nett zu formulieren.
Klingt nach: Ja, in der Vergangenheit ist scheiße passiert aber ja eigentlich noch nicht so lange.
Und jetzt haben Sie ihre Lektion ja gelernt und vergehen sich nicht mehr an jungen Mädels.
Dann passt es ja wieder. Schließlich ist die Musik und die Texte ja gut.
So klingen einige Passagen für mich.
Ich bin mir ziemlich sicher dass du das so nicht meinst (hoffe ich zumindest mal) aber genau so wirkt es auf mich!
Zitat anzeigen
Wenn du dir ziemlich sicher bist, dass ich es nicht so meine, warum wirfst du mir es dann vor? Aber du hast Recht, meine Intention war es in keinster Weise das Geschehene zu relativieren. Ich dachte, das habe ich in den ersten Abschnitten klar gemacht.
Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung kann ich sagen, Fehler zu machen ist menschlich und oft verstrickt man sich unbewusst immer tiefer hinein. Auch wenn das jetzt in keinem Vergleich zu dieser Situation steht, kann ich dir sagen, es fühlt sich extrem scheiße an, jemanden emotional zu verletzen. Aber noch viel beschissener ist das Gefühl, keine Chance zu bekommen, seine Fehler wieder gutzumachen.
Ich würde jedem Neonazi, Mörder oder Kinderficker die Hand reichen, wenn er mir glaubhaft versichern kann, dass er sein Verhalten ändern möchte. Auch solche Menschen haben das Recht wieder an unserer Gesellschaft teilzunehmen, wenn sie ihre Strafe verbüßt haben. Genauso haben Rammstein mMn ein Recht darauf weiterhin gehört zu werden, wenn sie zu ihren Fehlern stehen und den nötigen Willen an Veränderung an den Tag legen.
Locust schrieb:
Sind sie das wirklich noch? R+ hat das wirklich genial gemacht und das so zu verstehen gegeben. Aktuell muss man aber die wahren
Deutungen und die Authentizität von Rammstein stark hinerfragen.
Sie zerstören gerade das eigene Kustwerk
Zitat anzeigen
Ich behaupte ja. Wenn man mal die Lindemann und Rammstein Texte nebeneinander liegt, sieht man es ganz gut. Bei Rammstein haben halt die anderen Bandmitglieder noch ein Mitspracherecht. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass Lindemann sein Solo-Projekt für seine sexuellen Fantasien missbraucht, während der "Quality" Content in Rammstein fließt.
Texte wie in Giftig o.ä. mögen jetzt vielleicht in einem anderen Licht dastehen. Aber die Band zieht ja ihre Daseinsberechtigung aus der Provokation von Grenzerfahrungen. Ich glaube, die sind auch wichtig, um solche Diskurse führen zu können. Wenn allerdings eine Grenzüberschreitung stattgefunden hat, so muss dem selbstverständlich Einhalt geboten werden.
Natürlich möchte ich in Zukunft nicht mit sexuellen Missbrauch in Verbindung gesetzt werden, wenn ich ein R+ Shirt trage. Das sollte im bandeigenen Interesse sein, hier klar zu machen, wofür sie wirklich stehen, am besten musikalisch und nicht mit Anwälten. Das sie das können, haben sie ja bereits in der Vergangenheit oft genug bewiesen.