08.12.2004 13:57
Die Normalität des Unerträglichen
Von Georg Mascolo, Washington
Sieben Monate ist es her, seit die Bilder von Abu Ghureib die Welt erschütterten. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Folter-Fälle bekannt werden. Doch in den USA löst das immer weniger Empörung aus.
AFP/ THE WASHINGTON POST
Demütigung eines Gefangenen in Abu Ghureib: 100 Gefangene gefoltert, 20 Tote
Washington - Für die US-Regierung ist der Skandal von Abu Ghureib nur ein Ausrutscher, menschliches Fehlverhalten einiger weniger Soldaten, wie es in jeder Truppe vorkommen kann. Bedauerlich, aber auch keine Katastrophe. Dabei vergeht kaum ein Tag, ohne dass in den USA neue Folterfälle bekannt werden. Aber die Regierung schweigt, die politisch Verantwortlichen bleiben im Amt - oder werden auch noch befördert.
Eine Verhörexpertin im Gefangenenlager Guantanamo greift einem Häftling in die Hoden, dann verdreht sie seine Daumen. In Bagdad werden Gefangene mit Brandspuren im Nacken und blauen Flecken im Gesicht vorgeführt. Zwei Geheimdienstexperten des Pentagon sehen im Juni dieses Jahres wie Militärs einen irakischen Gefangenen immer wieder ins Gesicht schlagen. Sie fotografieren die Szene und zeigen die Bilder einem Vorgesetzten. Aber dem fällt nur ein, sie schnell zu konfiszieren. Soldaten nehmen den beiden Geheimdienstlern ihren Autoschlüssel ab, drohen ihnen: Wehe wenn ihr redet.
AFP
US-Soldat bei einer Razzia in Falludscha: Was Amerikas Sicherheit nützt, muss auch erlaubt sein
FBI-Beamte, die in das Verhörcamp Guantanamo abgeordnet wurden, berichten von harten Auseinandersetzungen mit den Militärs über ihre Art die Gefangenen zum Reden zu bringen. Ein FBI-Mann schrieb in einer E-Mail an Kollegen: "Am anderen Ende des Flures fand ein sehr lautes Verhör statt, ich habe mich entschieden, es mir lieber nicht anzuschauen."
Die Liste ließe sich fortsetzen, Abu Ghureib ist alles andere als ein Einzelfall. Die Bush-Administration ist gezwungen, an der Demontage der von ihr kunstvoll gestrickten Legende vom Ausrutscher Abu Ghureib auch noch mitzuwirken - hunderte interne Dokumente des FBI und des Verteidigungsministeriums mussten in den letzten Wochen auf Anordnung von Gerichten an Menschenrechtsorganisationen herausgegeben werden. Die obigen Beispiele stammen aus solchen Papieren.
Überall im Land laufen Verfahren gegen Soldaten
Nach letzter Zählung sind mindestens 100 Gefangene in Irak, Afghanistan und anderswo gefoltert worden, mehr als zwanzig starben. Auch der Stolz der Peiniger sorgt nun unfreiwillig für neue Enthüllungen: Im Internet tauchten unlängst Fotos auf, die US-Soldaten beim Quälen irakischer Gefangener zeigen. Die GIs hatten sich gegenseitig abgelichtet und die Bilder nach Hause geschickt. Die Schuldigen werden bestraft, heißt die Formel mit der das offizielle Washington auf jede neue Enthüllung reagiert.
Überall im Land laufen inzwischen Verfahren gegen Soldaten, die sich der Misshandlung von Gefangenen schuldig gemacht haben sollen. Damit endet aber auch das Mea Culpa der Bush-Administration. Welche Verantwortung hohe Militärs, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der designierte Justizminister Alberto Gonzalez, oder der Präsident George W. Bush tragen, wird nicht untersucht. Dabei besteht inzwischen kein Zweifel mehr daran, dass die Bush-Administration mindestens das Klima, in dem die Exzesse erst möglich wurden, geschaffen hat. Was Amerikas Sicherheit nützt, muss auch erlaubt sein, hieß nach dem 11. September die neue Maxime; erst kippten die Genfer Konventionen dann kam die Suche nach immer effektiveren Verhörmethoden.
Entsetzen vornehmlich im Ausland
Eine selbstkritische Aufarbeitung, sonst oft eine der großen Stärken des amerikanischen Polit-Systems, ist bisher ausgeblieben. Amerika ist noch immer im Krieg, Entsetzen über die ständig neuen Details gibt es vornehmlich im Ausland. In den USA reicht die öffentliche Empörung inzwischen kaum mehr über die Kommentarseiten liberaler Blätter wie der "New York Times" und der "Washington Post" hinaus. Als kürzlich ein Bericht des "Internationalen Roten Kreuzes" bekannt wurde, der die Verhörmethoden in Guantanamo als Folter bezeichnet, blieb besondere Empörung aus. Mindestens ebenso laut war die Forderung Konservativer, die amerikanische Finanzhilfe für das aus ihrer Sicht renitente Rote Kreuz zusammenzustreichen.
Der Kongress hat seine Lust an Untersuchungen verloren, wichtige Papiere bleiben unter Verschluss. Eine interne Regierungsstudie, wer Verantwortung für die Genehmigung der immer harscheren Verhörmethoden trägt, ist bisher nicht veröffentlicht. Und die CIA, nach Abu Ghureib gezwungen, das Verhalten ihrer Agenten zu untersuchen, lässt sich damit viel Zeit. Dabei stehen auch ihre Leute unter schwerem Verdacht: So sollen etwa fünf CIA-Beamte dabei gewesen sein, als im November 2003 der irakische Gefangene Manadel al-Jamadi in einem Verhörraum am Bagdader Flughafen totgeschlagen wurde.
Dass es Befehle von Oben zu solchen Aktionen gab ist weder bewiesen noch wahrscheinlich, aber schon heute reicht die Papierspur dennoch von den Folterzellen bis nach Washington. Hohe Offiziere in Guantanamo verlangten in einem geheimen Vermerk für das Verteidigungsministerium für die Erlaubnis Gefangene mit der chinesischen Wasserfolter zum Reden zu bringen; dabei liegt ein nasses Handtuch über Mund und Nase, der Delinquent glaubt zu ersticken. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat zumindest solche Methoden nie genehmigt - aber auch keinen der Folter-Befürworter je zur Verantwortung gezogen, oder auch nur gerügt. Als einer der wenigen aus der Administration darf Rumsfeld bleiben.
DDP
US-Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld mit Soldaten: Folter-Methoden nicht genehmigt - aber auch nie gerügt
Ein anderer wird sogar noch befördert - Alberto Gonzalez, ein alter Freund Bushs und aller Voraussicht nach schon bald Justizminister des Landes. Menschenrechtsgruppen drängen die Demokraten, Gonzalez bei den Anhörungen im Kongress hart zu seiner Rolle zu befragen und damit den Folterskandal noch einmal zurück auf die große politische Bühne zu holen. Gonzalez hatte als Bushs Rechtsberater im Weißen Haus die Genfer Konventionen für die al-Qaida-Gefangenen für außer Kraft gesetzt erklärt. Welche Rolle er beim Verfassen eines weiteren Memorandums gespielt hat, wollte Gonzalez bisher nicht sagen. Aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen hatte der damalige CIA-Direktor George Tenet 2002 eine juristische Absicherung verlangt; Tenet und seine Geheimagenten fürchteten, dass spätere Regierungen sich von den üblen Verhörmethoden distanzieren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen könnten.
Über Gonzalez' Schreibtisch ging im August 2002 der bestellte Freibrief, ein Memo des Justizministeriums für Präsident Bush. Darin wurde der Präsident für autorisiert erklärt, in Zeiten des Krieges beinahe jede Form von Gewalt anordnen zu dürfen. Nur dauerhafte körperliche Schäden und der Tod des Gefolterten müssten verhindert werden.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,331557,00.html
MORDVORWÜRFE GEGEN US-SOLDATEN
Und dann legte sie das Baby auf den blutigen Körper ihres Mannes...
Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, haben US-Soldaten bei Razzien im Irak Zivilisten kaltblütig umgebracht. Bei der Anhörung zweier Männer des 1. Bataillons des 41. Infanterieregiments wurden unfassbare Details eines Vorfalls aus Sadr-Stadt bekannt. Bei einer Verurteilung droht den Soldaten die Todesstrafe.
AFP
US-Soldat bei einer Razzia im Irak: "Du weißt, was du zu tun hast"
Hamburg - Es war der frühe Morgen des 28. August, als die Soldaten des 41. Infanterieregiments an einem einstöckigen Haus im umkämpften Bagdader Viertel Sadr-Stadt ankamen. Wegen der drückenden Hitze hatten sich die Bewohner des Hauses, eine fünfköpfige Familie, zum Schlafen in den Hof gelegt. Die Soldaten hielten die Familie im Hof fest, während sie das Haus durchsuchten.
Nachdem sie einen Revolver und ein AK-47-Gewehr gefunden hatten, befahlen der Anführer der Einheit, der Feldwebel Michael W., und der Gefreite Brent M. dem Familienvater, ihnen ins Haus zu folgen. Waffenbesitz ist im Irak allerdings auch unter der Zivilbevölkerung wegen der Sicherheitslage durchaus üblich und erlaubt. Im Haus wurden dann nicht mehr allzu viele Worte gewechselt. "Du weißt, was du zu tun hast", soll W. zu M. gesagt haben. Der fragte: "Kann ich ihn erschießen?" Die Antwort: "Erschieß ihn!" M. schoss dem Iraker zweimal in den Kopf.
Der Vorfall, über den die "Los Angeles Times" jetzt unter Berufung auf eine Anhörung in Bagdad berichtete, ist nur einer von rund einem Dutzend Morden, die US-Soldaten im Irak derzeit zur Last gelegt werden. Einzelheiten der Fälle wurden jetzt bekannt, nachdem im November die Videoaufnahme der Hinrichtung eines verwundeten Irakers in Falludscha durch US-Soldaten einen Aufschrei der Empörung verursacht hatte.
Zwei Soldaten des 1. Bataillons des 41. Infanterieregiments sagten inzwischen aus, einige ihrer Kameraden hätten so wenig Rücksicht auf die Leben von Irakern genommen, dass sie selbst sich verpflichtet gefühlt hätten, sich bei Vorgesetzten zu beschweren. Außer den Morden soll auch eine Leichenschändung beobachtet worden sein. Einige Soldaten sollen einen Lastwagen unter Beschuss genommen haben, dessen Insassen eine weiße Fahne schwenkten. Zwei weitere Soldaten sind wegen Mord an einem Kameraden angeklagt.
Auch die Vorwürfe gegen W. und M. wurden bekannt, nachdem sich Kameraden beschwert hatten. "M. war ziemlich aufgedreht", zitiert die "Los Angeles Times" einen der Soldaten. "Er sagte, er habe noch nie zuvor jemanden aus dieser Nähe erschossen." Einige Soldaten waren von dem Vorfall besonders mitgenommen, weil die Frau des Opfers einen hysterischen Anfall bekam. Laut der Soldaten habe sie geheult, auf sich selbst eingeschlagen, sich mit Schmutz beworfen und dann ihr Baby auf den blutigen Körper ihres Mannes gelegt.
Von einem befehlshabenden Offizier zur Rede gestellt, habe M. zunächst behauptet, in Notwehr geschossen zu haben. Einem Militärermittler gegenüber soll er jedoch einige Wochen später zugegeben haben, auf einen unbewaffneten Mann geschossen zu haben. Er habe geschossen, weil es ihm befohlen worden sei, verteidigte sich M.
Ein anderer Iraker wurde kaum eine halbe Stunde zuvor getötet, als dieselben Soldaten bei einer Razzia in seinem Haus ebenfalls ein AK-47 entdeckten. Feldwebel W. ließ den Mann ins Haus bringen, nahm ihm die Handschellen ab, legte das Gewehr neben ihn und soll zu anderen Soldaten gesagt haben: "Ich habe das Gefühl, mein Leben ist bedroht." Danach erschoss er den Mann. W. und M. befinden sich zurzeit in Bagdad in Militärhaft. Sollten sie wegen Mordes verurteilt werden, droht ihnen die Todesstrafe.
Militärprozess gegen GI in Deutschland
Auch ein in Deutschland stationierter GI muss sich wegen eines mutmaßlichen Mordes im Irak vor einem Militärgericht verantworten, wie die US-Streitkräfte heute in Wiesbaden bekannt gaben. Hauptmann Rogelio Maynulet, der mit seiner Division inzwischen nach Deutschland zurück verlegt wurde, ist angeklagt, am 21. Mai bei einem Kampfeinsatz südlich von Bagdad einen Fahrer des radikalen Schiiten-Predigers Muktada al-Sadr erschossen zu haben, nachdem der Mann bereits beim Beschuss von amerikanischen Soldaten schwerste Kopfverletzungen erlitten hatte.
Die Verteidigung hatte argumentiert, dass der 29 Jahre alte Maynulet aus Mitleid gehandelt habe und das Opfer lediglich von dessen Qualen habe befreien wollen. Dies hatten auch Kameraden des Hauptmanns während der Anhörung ausgesagt. Der Kompaniechef selbst hatte die Mordvorwürfe von Anfang an bestritten. Er ist weiter bei der in Deutschland stationierten 1. Panzerdivision im Dienst, wurde allerdings in den Planungsstab versetzt.
Die Anhörung war in Bagdad eröffnet und im Juli in Hanau fortgesetzt worden, nachdem die 1. Panzerdivision zurück nach Deutschland verlegt worden war. Verhandlungsort und -datum stehen laut US-Armee noch nicht fest.
Die Tat Maynulets war von einer Drohne, einem unbemannten Überwachungsflugzeug, auf Video aufgezeichnet worden. Die Aufzeichnungen wurden während der Anhörung in Hanau vorgeführt - allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um die US-Streitkräfte im Irak nicht zu gefährden, wie es hieß.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,331443,00.html
wen wundert es noch, dass es im irak keinen freiden gibt? wen wunderts noch, dass die amerikaner nicht als befreier gefeiert werden?
Der Irakkrieg war illegal
(Kofi Annan)